Das flimmernde Orchester
Matthias Wyder verbindet Film mit Musik
Braune Decke, runde Stuckrosette, alte Telefonzelle auf der Bühne – wir sind im Watt, einer Raucherkneipe am Rande des Prenzlauer Bergs. Hier haben gerade drei früher gern als Porno-Projektoren verspottete Elmos ihren Auftritt, die Baureihe ST1200 – beliebt und bekannt als besonders robust. Sie zeigen heute aber nur züchtiges Zeug: Fledermäuse, Artisten in der Zirkuskuppel, Autorennen und Strandspaziergänge. Im Watt gastiert das Sound 8 Orchestra und versieht die wilden Super-8-Szenen auf der Leinwand mit einem elektronischen Klangteppich: Grooves from another Galaxy. An den Tasten: der Schweizer und Wahl-Berliner Matthias Wyder. Ein Fanatiker in Sachen Schmalfilm.
Es dauert nicht lange, dann sind die 50 Besucher im Watt elektrisiert. Schlagzeuger Philip Theurer und Multiinstrumentalist Matthias Wyder ziehen sie schnell in ihren Bann. An den Projektoren haben sie mit Mareike Hube eine weibliche Verstärkung, die zwischen den einzelnen Songs die Geräte abstellt. Nach etwas weißem Vorspann folgt das nächste Thema – sowohl filmisch als auch musikalisch. Die 360-Meter-Spulen bieten reichlich Vorrat für den Bildteppich der nächsten Songs. “Diese Spulen hat mein Vater umgebaut”, zeigt sich Wyder sichtlich stolz. “Sie waren eigentlich für 16 mm gedacht und er hat sie auf Super 8 adaptiert. So was Stabiles gibt es selten”, freut sich der Musiker. Neben seinen Keyboards hat er auch eine E-Gitarre dabei – und allerlei Plastikkisten, denen er ebenfalls Töne entlockt. Höhepunkt sind seine lippensynchron in ein Pseudomikrofon gehauchten Moderationen, die im Original aus allerlei Werbefilmen stammen. In den hinteren Reihen mag es gar nicht auffallen, dass Wyder fremde Stimmen der 70er sprechen lässt.
Seit 12 Jahren lebt der Musiker in Berlin. Rund 20 Auftritte absolviert er jedes Jahr quer durch Europa mit seinem Sound 8 Orchestra, wobei die Schlagzeuger wecheln. Genauso wie die Filme, die aus den drei Projektoren kommen. “Früher war es leichter, neues Material zu ergattern”, sagt Wyder, “und billiger auch!” Trotzdem soll das Programm natürlich variantenreich bleiben – sowohl musikalisch als auch filmisch. Die Gruppe bietet Easy Listening, Low Budget Lounge Musik, retrofuturistische B-Movie Soundtracks und psychedelische Electrosounds. Irgendwo zwischen Lee Perry, Add N To X, Sun Ra und James Bond Filmmusik. Das Sound 8 Orchestra hat bislang sogar schon drei Alben und eine Vinyl-Single veröffentlicht.
Auf der Leinwand tummeln sich zunächst allerlei Artisten und turnen unter dem Kuppeldach eines Zirkuszelts. Später kommt ein Lehrfilm über Fledermäuse, der leicht zeitversetzt gleich in drei Kopien zu bewundern ist. Ihr Rotstich verrät die mangelnde Langlebighaftigkeit des Films und rückt die 1970er Jahre optisch in weite Ferne. Besser sind die Kodachrome-Farben der Urlaubsstreifen, die dann folgen. Junge Körper tummeln sich am Strand und lassen hoffen, dass es in Berlin auch bald wieder wärmer und nackter wird.
Applaus brandet auf. Wyder und Konsorten kommen ohne Zugabe nicht davon. Doch was tun? Die Vorräte auf der Filmspule sind aufgebraucht. Da zaubert Mareike Hube unterm Tresen der Kneipe noch einen weiteren Elmo hervor und richtet das Objektiv auf die Leinwand. Jetzt bietet ein Autorennen den visuellen Rahmen für die akustischen Reize. Kling, klang, klong, brumm, irgendwie lässt Kraftwerk grüßen. Und das Publikum ist sich bei der nächsten Fluppe sicher: So richtig totzukriegen sind sie nicht, die Siebziger.
https://www.sound8orchestra.com/